Maria Zechmeister wurde 1949 am Kreisgericht Ried im Innkreis, Oberösterreich, zu lebenslanger Haft wegen Meuchelmordes an ihrem Gatten verurteil. Es gab keine Beweise und kein Geständnis.
ZECHMEISTER ist ein ethnographischer Film“ – mit dieser Anmerkung verweist die junge österreichische Filmemacherin auf Ausgangsmaterial und Arbeitsmethode ihres ersten Kinofilms.
Sie zeigt in einer Zeit von 79 Minuten die Suche und das Erfassen von Zeichen und die Erforschung ihrer Zusammenhänge. Selten habe ich eine derart mutige Bewegung auf das Unbekannte hin im Kino gesehen. ZECHMEISTER ist weder von gestern noch der Zeit voraus – wie die Rede oft gewendet wird, um Wesentliches abzublocken. Dieser Film präsentiert in hohem Maß den gegenwärtigen Stand des Filmens.
„Maria Zechmeister wurde 1949 vom Kreisgericht Ried im Innkreis/Oberästerreich zu lebenslanger Haft wegen Meuchelmordes an ihrem Gatten verurteilt. Es gab keine Beweise und kein Geständnis.“
Jenseits der 100.000mal verwendeten und wiederverwendeten Dramaturgien spürte ich, dass der Film und ich uns gemeinsam bewegten. Auch jenseits der im Kino überrepräsentierten Art, die Welt zu sehen, so verdeutlicht, trickreich und intrigant: bestimmte, zu einfache und folglich falsche Möglichkeiten sind hier gar nicht verwendet worden.
Angela Summereder, die sozusagen als Eingeborene im mörderischen Innkreis einmal wirklich zuhause war, ist bei dieser Arbeit in der Rolle einer Fremden heimgekehrt – vor sich die Forschungsreise und nun, hinter sich, eine ethnographische Spur, die uns alle Chancen bietet, selbst etwas zu entdecken. Auch in uns und um uns herum!
Aus der anfänglichen Neutralität der ersten Bilder und Töne entwickelt sich ein immer vitaler werdendes Kontaktgefüge von Bezügen – und damit das Eigenleben des Films. Der Zuschauer wird nicht ausgeschaltet, er kann sich einschalten.
Diese Methode bildet in ihrer anscheinenden Strenge heute noch die Ausnahme von den gewohnten Regeln des Filmkonsums. Der ungeduldige Zuschauer wird in diesem Film aber aufgefordert, an diesem Prozess in aller Ruhe teilzunehmen. Und dann soll er sich fragen, ob es nicht schöner ist, statt des besitzergreifenden Gefühls-Schau-Spiel das Bewusstsein der eigenen Freiheit auszukosten.
ZECHMEISTER von Angela Summereder ist ein Film über die Natur des Menschen, besser: eine Natur-Komposition für Kino, Zuschauer und Projektion.
(Quelle: Filmschrift. Wien, Dezember 1981)
„Zechmeister ist keines natürlichen Todes gestorben“: Dieser erste Satz in Angela Summereders Zechmeister ist aus dem Off zu hören, ein Richterspruch, dessen Autorität sich erst noch erweisen muss.
Der Film inszeniert (und verfremdet) einen Indizienprozess. Am 25. Juli 1948 stirbt im Innviertel in Oberösterreich Anton Zechmeister, ein Kriegsheimkehrer. Sein Grabstein dient Summereder als Ausgangspunkt.
Die Leute im Dorf - auch sie sprechen aus dem Off – wissen gleich Beschied. Zechmeister ist vergiftet worden, das sieht man schon daran, dass ihm zum Schluss die Haare ausgefallen sind. Eine Ärztin kann den Haarausfall nicht bestätigen. Zechmeisters Ehefrau wird wegen des Verdachts auf Mord verhaftet – sie steht auf der Seite der Kamera, bleibt also unsichtbar, die Filmemacherin bleibt auf ihrer Seite. Maria Zechmeister spricht in eigener Sache, sie blickt 1981 auf ihren eigenen Fall zurück. Sie verteidigt sich nicht direkt, der Film problematisiert das Scheitern der Verteidigung in einem historischen Prozess. Dieser Prozess wird dokumentiert und zugleich noch einmal aufgerollt. Das Gericht versammelt sich bei Angela Summereder unter einem großen Baum, einem Weltenbaum. Richter, Ankläger, Verteidiger, Schöffen – ein Schwurgericht, eine archaische Dorfjustiz, die aber doch im Namen der Republik spricht.
Am 26. September 1932 haben Anton Zechmeister und seine Frau einander kennengelernt. Das Hochzeitsfoto figuriert prominent im Film, dazu ist kurz der Schlager „Dein ist mein ganzes Herz“ zu hören. Wie überlebt eine Herzensbeziehung, wenn die Schwiegereltern die Braut schneiden, wenn der Mann nach Russland in den Krieg muss, wenn der gemeinsame Sohn in den letzten Tagen des Krieges „zugrunde geht“?
Die Menschen, die in Zechmeister angehört werden, kommen kaum einmal ins Bild. Sie schwanken in ihrer Sprache zwischen dem vertrauten oberösterreichischen Dialekt und einer förmlichen Hochsprache, aus der sie immer wieder herausfallen. Zwischendurch lässt Angela Summereder die Kamera einfach einen Acker oder den Inn entlang fahren, während Beweismaterial vorgetragen wird. In den Giftwegen der exhumierten Leiche von Zechmeister findet sich das Gift Thallium, die letzte Dosis muss er erhalten haben, als er schon im Krankenhaus war. Seine Frau hat ihn im Krankenhaus nicht besucht.
Menschen treten vor das Gericht und werden zurechtgewiesen, wenn sie „neben der Wahrheit stehen“. Eine Wahrheit aber ist in Zechmeister nicht auszumachen, nur ein Urteil, das einholt, was das Volk im Dorf schon zu wissen glaubte. 1948 war Österreich eine vormoderne Gesellschaft. 1982 veröffentlicht Angela Summereder einen modernen Film darüber. Maria Zechmeister wird endlich gehört. Die Verspätung hat sie am eigenen Leib erlitten.
(Quelle: DVD Inlay Zechmeister. Der österreichische Film. Edition Standard #103. Hoanzl.)
I.
Maria Zechmeister wurde 1949 am Kreisgericht Ried im Innkreis, Oberösterreich, zu lebenslanger Haft wegen Meuchelmordes an ihrem Gatten verurteil. Es gab keine Beweise und kein Geständnis. Es gab Gerüchte, das Lebenselexier einer gewissen Mentalität, der nachzugehen und sie in ihrer unterschätzten Gefährlichkeit zu zeigen, ein Hauptthema des Filmes ist.
Diese Gerüchte bilden den Boden für die „Untersuchungen“, deren notgedrungene Unzulänglichkeit ein weiteres Thema des Filmes ist.
II.
Der Text des Filmes besteht zum überwiegenden Teil aus Protokollauzügen, Plädoyers, Anträgen, Zeugenaussagen und dem, was die mitwirkenden Zeugen bzw. Frau Zechmeister durch die Bearbeitung der „historischen“ Texte neu einbrachten.
Die Schauplätze und Landschaften des Films stehen mit dem, was von einer Geschichte übriggeblieben ist und für mich als Filmemacherin zugänglich war: Berge von Gerichtsakten, Zeitungsberichte aus Archiven.
Die Darsteller des Films sind Maria Zechmeister (die nach 17 Jahren Gefängnis vorzeitig entlassen wurde) und 5 Zeugen.
Das Hohe Gericht wird von Schauspielern dargestellt, ebenso die sachverständigen Wissenschaftler, die ermittelnden Beamten und die Frau des Beamten. Die Schöffen und die Gasthausbesucher werden von Personen aus der unliegenden Gegend gespielt.
Was ich auf keinen Fall wollte:
a)einen „historischen Film drehen“, der in der österreichischen Provinz spielt. Es gibt in letzter
Zeit eine ganze Reihe derartiger Produktionen, in deren Nähe ich auf keinen Fall geraten
wollte.
b)Mit dem Prinzip der „Identifikationsmöglichkeit für den Zuschauer“ arbeiten. Dieses Prinzip ist
das herrschende in der gängigen Filmproduktion. Es ist menschenverachtend.
III.
Es ist immer wieder faszinierend aus dem Dunkel des Kinos in das Helle, Lebendige des Films einzutauchen.
IV.
Die hartnäckige Ignoranz mit der über die Notwendigkeit, den Zuschauer zum aktiven, kritischen und menschlichen Schauen und Horchen anzuregen, hinweggefilmt wird, und die rücksichtslose Brutalität, mit der diese Konsumfilme dann „ergreifen“, „beeindrucken“, „überwältigen“, „mitreißen“... will ich nicht übernehmen.
Es soll endlich aufhören, dass Leute im Kino außer sich geraten.*
V.
Der Zuschauer muss die Möglichkeit haben, den Film zu entdecken. Schauen. Horchen. Staunen. Ein Geräusch. Ein neues Bild. Überraschung. Entdeckung. Einen Film anschauen, das soll sein, wie einen Menschen kennenlernen.
*Ein Zuschauer ist ein „Zuschauer“ und ein Schauspieler ist kein Briefträger.
(Quelle: Programm Stadtkino 1, Wien, November 1981)