Was bedeutet es, innerhalb einer Leistungsgesellschaft KEINE Arbeit zu haben? Der Film folgt fünf HauptprotagonistInnen, die innerhalb eines Kurses „Erfolg auf dem Arbeitsmarkt“ trainieren.
... Summereder folgt zwar aufmerksam den weltabgewandten Ritualen dieser Zurichtung, sucht zum Glück aber andererseits das Gespräch mit den ge“service“ten Menschen. Bestes dokumentarisches Kino.
Unspekulativ, analytisch und mit präzise gewählten metaphorischen Bildern, die wortlos die fast schizophrene Widersprüchlichkeit bei der Zurichtung zur Erwerbsarbeit herauskristallisieren, gelingt Dokufilmerin Angela Summereder der Bestfall: die blanke Beobachtung von Realität, emotional intensiviert durch suggestive, aber nicht manipulative Kunstgriffe. Ein höchst aufschlussreiches Zeitdokument.
Andrea Hlinka: Was sind Ihre Gedanken, wenn Sie von sinkenden Arbeitslosenzahlen hören?
Angela Summereder: Das ist Feilschen um Prozentmarken. Egal, ob es sieben Prozent weniger sind oder 30, wenn man arbeitslos ist, ist man es zu hundert Prozent.
Was war Ihr Motiv für den Film „Jobcenter“?
Ich war selber arbeitslos und bin in so einem Kurs gelandet – trotz Studium. Ich kenn daher die andere Seite, die der Arbeitslosigkeit. Aus dieser Kursteilnahme hat sich entwickelt, dass ich Trainerin Wurde. Ich hab dann sieben Jahre mit Arbeitslosen gearbeitet und viele Schicksale hinter dem Statistikbegriff Arbeitslosigkeit erlebt. Arbeitslosigkeit ist ein Tabuthema und es braucht die Öffentlichkeit.
Was ist die Message des Films?
Ich wollte die Defizite in unserem leistungsorientierten, kapitalistischen System zeigen, die Situation in der sozialen und geografischen Peripherie.
Gibt es einen Unterschied zu Wien?
Mir haben Leute, die den Film gesehen haben, erzählt, dass sie von der Einfühlsamkeit der oberösterreichischen Berater überrascht waren. In den AMS-Stellen in Wien geht es rauer zu. Am Land kann man sich andererseits nicht in der Anonymität vergraben. Ein Mann hat erzählt, dass er täglich so getan hat, als würde er zur Arbeit gehen, nur um den Fragen der Nachbarn zu entgehen.
Wieso definieren wir uns über Arbeit?
Weil wir uns über Leistung definieren. Arbeitslosigkeit bedeutet soziale Ausgrenzung. Es ist eine Abwärtsspirale. Ich denke, es wird in Zeiten der Unsicherheit am Arbeitsmarkt immer wichtiger, sich in sich selbst gut zu verankern. Damit nicht alles zusammenbricht, wenn man den Job verliert.
Die jungen Menschen im Film scheinen nicht zu wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen.
Einer der jungen Arbeitslosen verkörpert die Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher. Er hat zusätzlich den Anspruch, dass Arbeit mehr sein sollte, als nur Geld verdienen. Weiß aber nicht, wie er mit der Frage umgehen soll.
Sie porträtieren auch zwei 50plus-Arbeitslose.
Das sind die Vertreter einer Generation, die sich dem Arbeitsleben hingegeben hat und dann ausgespuckt wurde – weil sie nicht mehr dem entspricht, was man heute gern als Arbeitskraft hat.
Stichwort Arbeitspflicht für Arbeitslose...
Sehr heikel. Es wird den Leuten suggeriert, dass sie nichts wert sind. Sie leiden ohnehin darunter, dass sie nicht gebraucht werden. Die Forderung klang im Wahlkampf wie „Arbeitspflicht für die faulen Schmarotzer“.
Wie waren die Reaktionen auf den Film?
Betroffen, aber durchaus positiv. Ich hoffe, der Film hat auch Empathie erzeugt und bewirkt, dass man sich für die Menschen hinter dem Schlagwort Arbeitslosigkeit interessiert. Der Film zeigt das System in seiner ganzen härte. Aber ich hoffe, es macht den Menschen Mut, zu sehen, wie sich andere durchkämpfen.
(Quelle: Kurier, 23.Oktober 2010)
Olga Dabrowski: Wie kamen Sie auf die Idee, einen Film wie „Jobcenter“ auf die Beine zu stellen?
Angela Summereder: Ich war als Trainerin tätig, hatte Einblick und Kenntnisse in eine gesellschaftliche Realität gewonnen und habe dadurch von „innen heraus“ agieren können und musste nicht als „Filmcrew von außen“ einfallen. Das wäre bei diesem sensiblen Thema unpassend oder unmöglich gewesen.
Was kann ich mir von diesem Film erwarten?
Einblick in eine Welt, die die meisten nur von außen kennen. Realistischere Einschätzung, was es heißt, keine Arbeit zu haben. Sich partiell wiederfinden in den hoffnungen und auch Ängsten der gezeigten menschen. Einen dokumentarischen Blick auf die Region Innviertel mit ihren Menschen, Abgründen und auch sympathischen Zügen.
Warum gerade das Thema Arbeitslosigkeit?
Arbeitslosigkeit ist ein Tabuthema in unserer Leistungsgesellschaft. Viele haben Angst davor. Bei der prognostizierten fortschreitenden Destabilisierung in der Arbeitswelt wird Arbeitslosigkeit viele treffen. Dass das tragisch, aber kein Weltuntergang ist, hoffe ich, kann der Film vermitteln.
Wie war die Zeit des Filmdrehs für Sie?
Dokumentarisch drehen ist immer aufregend, weil man sehr geistesgegenwärtig auf das reagieren muss, was einem das Leben oder in Glücksfällen die „Göttin des Dokumentarfilms“ beschert. Man ist in einem Balance-Akt zwischen Konzeption und „Geschehen-Lassen“ bzw. „Sich-Einlassen“. Ich hatte eine sehr eingespieltes, erstklassiges Team zur Seite.
Warum haben Sie sich gerade für die fünf porträtierten Personen entschieden?
Sie waren diejenigen, die mutig und offen genug waren, ihre Situation vor der Kamera zu reflektieren. Sie hatten in ihrer Persönlichkeit etwas, was sie über ihren individuellen Kontekt hinausreichend bezeichnend, interessant und aussagekräftig machte. Auch eine gewisse repräsentative Durchmischung war mir wichtig.
Wie sehen Sie persönlich ein Jobcenter im realen Leben?
Das kann eine absolut bereichernde und hilfreiche Erfahrung sein als auch eine unnötige Demütigung. Sowohl für die Trainierenden als auch die Teilnehmenden. Es braucht sehr gut und gründlich ausgebildete Trainer, die weniger mies als derzeit bezahlt sein sollten, überlegte Rahmenbedingungen, Freiwilligkeit und Dialog.
Waren Sie selbst schon einmal arbeitslos?
Ja, natürlich! Durch einen Umzug von Wien ins Innviertel, familiär bedingt, stand ich als promovierte Germanistin und Regisseurin plötzlich mit zwei Kindern ganz schön dumm in der ländlichen Landschaft mitsamt dem Stempel „exotisch, unbrauchbar, überflüssig“. Ich war auch Teilnehmehmerin im Jobcenter, bevor ich Trainerin wurde und weiß also, was das bedeutet.
(Quelle: Tips Ried, Jänner 2011)
„Was heißt es eigentlich, keine Arbeit zu haben?“ fragt die Produktionsnotiz von Angela Summereders neuem Film Jobcenter. Die Precredit Sequenz des Films zeigt uns eine Folge lose montierter Porträts von Menschen, mit denen etwas gemacht wird. Sie sitzen in einem Studio und bereiten sich auf das Fotografiert-Werden vor: Aus dem Off wird die Beleuchtung eingestellt, Filmklappen werden vor die Gesichter geschoben, Hände greifen in das Bild, um Haare zurecht zu streichen. Während das Filmteam nachdrücklich anwesend ist, sich bespricht, Anweisungen gibt, geschäftig ist – kurzum: arbeitet –, befinden sich die Porträtierten in einem Zustand erzwungener Passivität. Ihre Rolle ist es, nicht zu arbeiten. Sie warten, sehen sich um, schweigen, holen Atem oder blasen Luft aus, sie zögern – und beginnen endlich zu reden. Sie sprechen von Leere und Langeweile, von sozialer Isolation, von der Notwendigkeit sich zu beschränken. In wenigen und einfachen Statements werden hier von Betroffenen die wichtigsten Folgen von Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit beschrieben, wie sie wenigstens seit den 1930er Jahren bekannt und dokumentiert sind.
Achtzehn Jahre nach ihrem ersten Film Zechmeister, der 1981 als eine Art semi-dokumentarischer Spielfilm oder semi-inszenierter Dokumentarfilm quasi aus dem Nichts österreichische Filmgeschichte geschrieben hat, entsteht 2009 Summereders neuer Film, Jobcenter. Obwohl er thematisch wie ein brandaktueller Bericht zur weltweiten Kredit- und Wirtschaftskrise daherkommt, ist er deutlich vor dieser Krise konzipiert. Konsequenter Weise interessiert sich der Film ganz offenbar nicht für aktuelle, unmittelbare Folgen der Krise, sondern vielmehr für eine grundsätzliche Erörterung der oben bereits zitierten Frage, was Arbeitslosigkeit in Österreich (in der westlichen Welt) heute bedeutet und wie die Gesellschaft damit umgeht. Summereder eröffnet die Diskussion zu Beginn von Jobcenter sozusagen durch die Einblendung eines Zitats des amerikanischen Soziologen und Kapitalismuskritikers Richard Sennett. Das Zitat selbst – „Zeit ist die einzige Ressource, die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft frei zur Verfügung steht.“ – legt eine gebrochene Spur: Die Hauptakteure von Summereders Film sind keineswegs ohne weiteres als „Menschen am unteren Rand der Gesellschaft“ zu kategorisieren, es sei denn ihr aktueller Status als Arbeitslose per se würde eine solche Einschätzung bereits rechtfertigen. Das Zitat und Sennetts Name fungieren hier als ein von außen gesetzter Kontrapunkt zum Namen eines anderen Wissenschafters, der uns implizit durch den gesamten Film begleitet: Abraham Maslows bereits in den 1940er Jahren publizierte Ausführungen zur Bedürfnishierarchie, zählen nicht nur zu einem Schlüsselwerk der Humanistischen Psychologie; sie haben die Verkaufspsychologie und eine Reihe einflussreicher Managementmethoden nachhaltig geprägt.
Was für ein Ort ist das Jobcenter? Der erste Blick erfolgt durch die Fensterscheiben, die halb Einsicht gewähren, halb das Außen widerspiegeln – so etabliert Summereder das Jobcenter als ambivalenten Raum. Die Trainerinnen sind nett, sie wollen ja bloß helfen, den Berg zu besteigen. Sie machen keinen Druck, lassen jeden individuell arbeiten, außer man ist ein „Strizzerl“ und will nur „konsumieren“. Sie erledigen zuerst die Formalitäten, damit die Bezüge weiterlaufen. Sie stellen schwierige Fragen in einer merkwüdigen Sprache, etwa: Was haben deine Eltern dir denn vorgelebt? Oder: Was für eine Firma würdest du gründen, wenn du Geld hättest? Dabei machen sie ein gespanntes Gesicht. Sie forden immer wieder auf, Fragen zu stellen, betonen immer wieder die Freiwilligkeit der Teilnahme. Sie sagen: Was perfekt ist, entscheidest du selbst – während die Kamera uns einen Chor von Bildschirmen zeigt, auf denen die Lebensläufe einander gleichen wie ein Ei dem anderen. Der Motivationstrainer im Jobcenter Ried erklärt Maslows Bedürfnispyramide – eine Szene, die Summereder in vier Segmente teilt, die die einzelnen Kapitel verbindet und den Film nach dem Muster einer Progression strukturiert. Der Trainer sagt, der Verlust des Arbeitsplatzes könne die einmalige Chance bedeuten, sein Leben nach den eigenen Begabungen neu zu ordnen – und führt uns damit in das Zentrum des Spannungsfeldes, das die Antipoden Maslow und Sennett gewissermassen beschreiben: Maslows – vielleicht etwas zu idealistische, vielleicht viel zu bürgerliche – Vorstellung, der Mensch strebe nach Anerkennung und schließlich Selbstverwirklichung, hat sich im neuen Kapitalismus verselbständigt. Fleiß oder Meisterschaft in einem Handwerk, so Sennett, seien in den Hintergrund gerückt. Der neue Kapitalismus erfordere Individuen mit Talenten, die Leistungen erbringen und die zugleich imstande sind, sich stetig verändernden Rahmenbedingungen anzupassen. So ist das Bedürfnis nach Anerkennung und Selbstverwirklichung zu einer Maxime geworden und persönliches Glück kann im neuen Kapitalismus nur jenen zuteil werden, die den Anforderungen des Markts genügen.
Dabei sind die Bedürfnisse von Summereders Protagonisten tatsächlich äußerst unterschiedlich. Sieglinde und Helmut etwa, beide über 50 und daher per se Außenseiter am Arbeitsmarkt, kommen aus einer Generationen, in der Arbeit für die meisten Menschen nichts anderes war als ein purer Produktionsfaktor. Während Sieglinde per Zufall in einem Beruf und einer Verantwortung gelandet ist, die ihr tatsächlich nicht nur harte Arbeit, sondern auch Anerkennung gebracht haben, hat Helmut die letzten Jahre seines aktiven Berufslebens bereits als frustrierend erfahren. Beide sind letztlich an den Spielregeln des neuen Kapitalismus gescheitert. Mathias, Martin und Atafa stehen eher am Anfang ihrer beruflichen Karrieren und sehen sich bereits gezwungen, sich umzuschulen oder zusätzliche Ausbildungen zu absolvieren. Mathias, der gelernte Bäcker wird Masseur, Martin, der Landwirtsohn, dem Oma und Vater oft sagen, was er tun soll, will vor allem Spaß haben, Atafa hat ihrer Matura noch ein kaufmännisches Kolleg angeschlossen. Sie sind auf der Suche nach jenen ihrer spezifischen Talente und ihrer spezifischen Ziele, die es ihnen ermöglichen sollen, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren und dort erfolgreich zu werden.
Zeit, diese einzig freie Ressource aller Arbeitslosen, ist in Jobcenter nicht mehr frei, sondern wird gefüllt, gewissermassen im Auftrag der Gesellschaft und unter strenger Aufsicht des Arbeitsmarktservices kurz AMS. Es ist zumeist eine Zeit des Wartens und der Leere: Die Trainerinnen warten bis alle Teilnehmerinnen ihre Formulare ausgefüllt haben, die Kamera wartet in leeren Gängen. Die Arbeitslosen machen hier Zwischenstation, sie sind unterwegs: Helmut läuft durch das Gestrüpp. Atafa läuft über lange Gänge oder sitzt im Zug, um von Vorstellungsgespräch zu Vorstellungsgespräch zu fahren. Summereders Hauptfiguren werden ungeachtet ihrer unterschiedlichen Hintergründe wie in einem Kreisverkehr durch denselben Eingang in das Jobcenter geschleust, wo sie etwas mit sich machen lassen. Sie reihen sich ein, um sich für den Markt rüsten zu lassen und sind darin, wie sich am Ende des Films herausstellt, unterschiedlich erfolgreich. Über alle wird eine Schablone gelegt, wie der Ton, der die Bilder überlappt: Alle Geschichten werden auf einen Nenner gebracht. Dabei wird deutlich, dass es auf dem verordneten Weg zu Anerkennung und Selbstverwirklichung genau darum geht, die eigene Individualität zu unterdrücken: Etwa wenn Atafa von ihrem zukünftigen Arbeitgeber gefragt wird, was sie denn von Afghanistan nach Österreich verschlagen habe; oder wenn Helmut, dessen Mutter an Demenz erkrankt ist, von seinem Betreuer im AMS hört, er müsse bewerbungsfit gemacht werden und jede Lücke in seinem Lebenslauf argumentieren können.
Und dann öffnen sich authentische Räume, jedesmal, wenn Summereder ihren Protagonistinnen in deren Welt folgt: Wenn wir mit Helmut die Ruhe seines verfallenen Hauses im Grünen erfahren, wenn wir Sieglinde zuhören, mit welcher Intensität sie über ihre Engelkarten spricht, wenn Atafa uns ihre Gebetsuhr erklärt, wenn Martin glücklich am Traktor sitzt, wenn Mathias verlegen lächelnd eine seiner Kompositionen vom Computer spielt. In diesen Momenten gelingt es Jobcenter, die Geschichten seiner Protagonisten wieder auseinanderzuklauben und ihnen ihre Sprache und ihre Individualität zurückzugeben.
IN: Kolik 13, Wien 2010