Lässt sich aus dem leeren Raum—AUS DEM NICHTS—Energie generieren? In den 1920er Jahren behauptet Carl Schappeller, einen Mechanismus—eine Maschine—entwickeln zu können, mittels der eine bislang unerforschte Energieform—die Raumenergie—verfügbar gemacht werden kann.
Er mobilisiert eine große Anhängerschaft. Die katholische Kirche, das ehemalige deutsche Kaiserhaus, die englische Marine und zahlreiche Privatpersonen zählen zu seinen Anhängern, die ihn mit Millionen unterstützen.
Komplett verrückt? Ein Scharlatan und Hochstapler aus dem letzten Jahrhundert? Der Film nimmt die Spur der verwegenen Idee auf, alte Stummfilme, Dokumente, Dachbodenfunde und die Erinnerungen alter Menschen führen in eine fiktionale Welt, in der Schappeller und sein Clan als Geister auftauchen.
Nach diesem Tauchgang in die Vergangenheit verwandelt sich der Film und landet in der Gegenwart. In einer deutschen Industriewüste verfolgt ein einsamer Experimentalphysiker die Idee der Raumenergie weiter, während in Indien ein ehemaliger Atomkraftwerksleiter bereits an einem neuartigen Generator arbeitet, der Raumenergie nutzen soll.
Der Film offenbart Zusammenhänge, Brüche und Kontinuitäten in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Raumenergie und reflektiert als dokumentarischer Spielfilm die Frage: Was ist Wirklichkeit? Was ist Fiktion? Eine filmische Erkundung entlang der Grenze zwischen Glauben und Wissen, zwischen Vision und Hybris.
Ich glaube, Schappeller hatte einfach Lust, wild zu denken und etwas zu bewegen. Darin und auch in seiner Verrücktheit und in seinem Scheitern finde ich ihn interessant. In einem ambivalenten Spannungsfeld zwischen experimentellen Denkansätzen, Spieltrieb einerseits und dem Anspruch auf »richtige« Lösungen andererseits bewegen sich auch die weltweit vernetzten Protagonisten der heutigen »Free Energy Szene«. Wir leben in einer Kultur, die Erfolg, Leistung, Sicherheit und Berechenbarkeit hoch hält, aber nicht wahrhaben will, dass diese Fixsterne eine andere Seite und einen Schatten haben. In einer früheren Arbeitsphase des Projekts wollte ich Schappellers wilde Geschichte in Verbindung mit einer Firmengeschichte erzählen. Also Ökonomie und Magie vergleichend verhandeln, der »magischen« Geschichte, die hier eine des verwegenen Hochstapelns, des Träumens und des Scheiterns ist, eine straighte Erfolgsgeschichte über den Aufstieg einer Firma gegenüberstellen, wobei ich die Erfahrung machen musste, dass die Geschichte des Scheiterns die interessantere ist. Ich denke, dass im Film BEIDE Aspekte vorhanden sind, dass er vom Tag ebenso handelt wie von der Nacht, von Verrücktheit wie von logischer Ordnung und ich hoffe, es wird spürbar, dass diese Dinge in einem dialektischen Zusammenhang stehen. In formaler Hinsicht war es mir wichtig, filmische Referenzsysteme (Was ist dokumentarisch, was fiktional, was authentisch, was real usw.) auszuloten, zu prüfen und »augenzwinkernd zu verdrehen«. Ich wollte die Schappeller-Geschichte nicht als historisches Bio-Pic erzählen mit dem Gestus: So war das! Ich finde es interessanter eine filmische Form zu finden, die sagt: So könnte es gewesen sein. Ich stelle mir das ideale Kinoerlebnis so vor: Eine Erzählung beginnt, ich tauche ein in die Geschichte und nehme gleichzeitig ihre Konstruktion wahr. Das finde ich interessant, anregend und berührend, sowohl als Zuseherin als auch als Produzentin.
Eine neue Welt braucht eine neue Wissenschaft. In den 1920er Jahren fielen Carl Schappeller’s Forschungen zur Energiegewinnung aus Raumkraft auf geistesgeschichtlich fruchtbaren Boden, naturwissenschaftlich-technisch ging die Saat jedoch nicht auf. Dieser vielschichtige und klug konzipierte Film geht zunächst historiografisch einer spinnerten Idee nach, schlägt dann den Bogen in die Gegenwart und fragt bei Experimentalphysikern und Ingenieuren nach. Während in Aurolzmünster die Geister der Vergangenheit raunen, beugen sich in Indien stolze Forscher über wilde Maschinen. Wir erinnern uns an Tesla, der wurde auch verkannt.
Nur schwer lassen sich die Grenzen des Denkbaren in dokumentarische Bilder fassen. Angela Summereder bedient sich eines Kniffs und übersetzt ihr Vorhaben als Auslotung der Grenzen des Dokumentarischen. Eine bemerkenswerte Korrespondenz re-inszenierter und dokumentarischer Bilder werden ineinander verschachtelt und machen AUS DEM NICHTS zu einer vorder- und hintergründigen Spurensuche im Dazwischen von Science und Fiction. Mystisch und aufregend.
Wie sind Sie auf Karl Schappeller gestoßen?
ANGELA SUMMEREDER: Ich habe mir eine Arbeitsaufgabe gestellt: nämlich Geschichten im unmittelbaren Umfeld des Ortes zu suchen, wo ich aufgewachsen bin. Es gab eine Straße zwischen dem Ort, wo ich aufgewachsen bin und Ried im Innkreis, dem nächstgrößeren Ort, die ich sehr oft zurückgelegt habe. Entlang dieser Straße suchte ich nach Geschichten. Meine Annahme dahinter war, dass man bei gründlicher und grundlegender Fragestellung in diesem Mikrokosmos den Makrokosmos freilegen kann. Auch die Geschichte von Zechmeister entdeckte ich auf dieser Strecke und Jobcenter untersucht die institutionalisierte Verwaltung von Arbeitslosigkeit am Beispiel Ried im Innkreis. Auf halber Strecke liegt Aurolzmünster, wo Schappeller gelebt hat. Karl Schappeller ist ein lokaler Mythos, um den sich viele Geschichten und Legenden ranken. Er ist als uneheliches Kind im Armenhaus aufgewachsen und arbeitete später als Postbeamter. In den frühen 1920er Jahren ging er für einige Jahre nach Wien, das damals ein Sammelbecken für okkulte Ideen und Zirkel war. Schappeller hat sich in diesen Zirkeln bewegt. Mit fünfzig ist er dann in den Ort, wo er als Armenhauskind aufgewachsen war, zurückgekehrt, hat mit Hilfe einer Gesellschaft das dortige Schloss gekauft, mit der Absicht, dort ein Zentrum der Raumkraft- Forschung zu etablieren. Die Ergebnisse der Forschung sollten die Welt verändern. Schappeller ist eine sehr ambivalente Figur, die Züge eines Hochstaplers, aber auch etwas sehr Modernes in sich trägt. Man spürt die Sehnsucht nach einer Technologie, die ohne Zerstörung der Ressourcen Fortschritt ermöglicht. Gleichzeitig gibt es eine Verbindung zu sehr okkulten Ansichten. Das war in den zwanziger Jahren ein sehr weit verbreitetes Phänomen. Jede Kleinstadt hatte ihren Guru. Schappeller bringt die Zerrüttung der damaligen Menschen nach dem Zerfall des Habsburger Reiches zum Ausdruck: die Entwurzelung, die Sehnsucht, man könnte nochmals in eine Vergangenheitsidylle zurückkommen, wo es ein geschlossenes Reich und einen Kaiser, Gerechtigkeit und eine Einheit mit der Natur gibt. Dazu kam eine Faszination für Technik und Maschinen und die Idee, dass es die Technologie geben könnte, die die moderne Welt wieder gerecht und harmonisch macht.
Ist Schappeller heute in Technikerkreisen noch ein Begriff?
ANGELA SUMMEREDER: Wenn sich Leute für eine Subkultur der technischen Innovation interessieren, dann ja.
In dieser Atmosphäre des florierenden Okkultismus der zwanziger Jahre scheint die Kirche dennoch eine sehr wichtige Rolle gespielt zu haben?
ANGELA SUMMEREDER: Die Kirche hat Schappeller mit großen Summen unterstützt und war daher maßgeblich involviert. Für die Leute im Ort war das wiederum der Garant dafür, dass da etwas dran sein muss. Diese etwas paradoxe Haltung steht auch für den verzweifelten Versuch der Christlich-Sozialen nach dem Ersten Weltkrieg, dass man gesellschaftliche Macht vielleicht auf diese Weise stärker zurückgewinnen kann, wenn man über eine entsprechende Technik verfügt. Schappeller verstand es, diese Begehrlichkeiten für sich zu nutzen.
Stellt man von Aus dem Nichts eine Verbindung zu einem Ihrer ersten Filme Zechmeister her, so sind gemeinsame Spuren nicht von der Hand zu weisen. Man gewinnt den Eindruck, dass es Ihnen im filmischen Erzählen auch ums Hervorholen anonymer oder in Vergessenheit geratener Schicksale (quasi „aus dem Nichts“) geht. Zechmeister und Schappeller sind Anti-Helden.
ANGELA SUMMEREDER: Sie sind auf alle Fälle Außenseiter. Es geht mir im filmischen Erzählen auch immer wieder darum, Geschichten von den Rändern her zu erzählen. Im zeitlichen, räumlichen und soziologischen Sinn. Ein Sinnbild dafür ist in diesem Film das des Ausgrabens. Daher steht es auch ganz prominent zu Beginn des Films als ein Bild des Pflügens. In einem weiteren Aspekt nimmt diese Ackersequenz etwas vorweg, was im Verlauf des Films eine wichtige Rolle spielen wird. Die Spannung zwischen Erde und Himmel. Das kommt als Denkansatz von Schappeller zur Sprache und das hat auch mit der Wirklichkeitserfahrung damaliger Bauern zu tun. Die Erde, die Härte der Existenz in Verbindung mit Armut und harter Arbeit. Gleichzeitig sind da diese hochfliegenden Ideen, Visionen und Träume. All das prallt aufeinander und kulminiert in einer Figur wie Schappeller.
Wie konnten Sie sich dieser Figur nähern?
ANGELA SUMMEREDER: Über die Sprache. Ich hab mich im Archiv durch sehr vieI Briefe, unterschiedliche Korrespondenzen gelesen. Bekam dabei allmählich ein Gefühl dafür, wie diese Menschen denken und ticken. Interessant fand ich dabei z.B. die Erwähnung Schappellers, er hätte alles, was er weiß, seiner Frau „abgelernt“. Bezeichnenderweise findet sich im Archiv aber kein einziger Strich von der Frau selbst. Kein Brief, kein Zettel, nichts. Die Herausforderung der Recherche war folgende: Einerseits der Figur nahe zu kommen, mich einzulassen auf Denk- und Sichtweisen dieser Zeit, ohne Besserwisserei der später Geborenen und gleichzeitig zu vermeiden, ihnen „auf den Leim zu gehen“. Einfühlung unter Wahrung kritischer Distanz. Ich habe versucht, auch die Geschichte meiner Recherche einfließen zu lassen. Die verschiedenen Schichten sollten transparent bleiben: zunächst war da der kollektive Mythos, das, worüber die Leute heute noch im Ort reden. Im Linzer Landesarchiv gibt es eine ungeheure Menge an Zeitungsdokumenten, sie bestätigen allerdings in erster Linie den Mythos und schmücken das Drumherum sehr aus. Gefehlt haben mir im Dokumentfundus Unterlagen, die seine Hypothese, seine Theorien genauer ausführen. Ein glücklicher Zufall hat mich mit Peter Schlosser in Wien in Verbindung gebracht, der einen ausführlichen, englischsprachigen Bericht über Schappellers physikalischen Ansatz übersetzt und sich sehr intensiv damit auseinander gesetzt hat. Als weiteren Glücksfall sehe ich den Fund von Filmmaterial, das die Schappellers selbst gedreht hatten. Das war damals eine Sensation. Heimkino aus den 1920er Jahren, gedreht auf 9,5 mm Format von Pathé mit Perforation in der Mitte des Filmstreifens. Die Schappellers haben sehr viel gedreht. Nach dem Tod der Familie stapelten sich im heruntergekommenen Schloss die Filmdosen bis unter die Decke. Irgendwann kam ein Eisenhändler vorbei, nahm die Dosen als wieder verwendbares Alteisen mit und warf die Filme weg. Ein Bruchteil davon ist erhalten, ich konnte über Umwege, über einen privaten Sammler, einem Schweizer, an die letzten Reste dieses Materials kommen. Dieses Material aus den 1920/1930-er Jahren hat einen großartigen Ansatz für den Film geschaffen. Mir war schnell klar, dass diese Geschichte über ein rein dokumentarisches Verfahren nicht erzählbar ist.
Waren die Bewohner von Aurolzmünster gerne bereit, mit Ihnen zu reden?
ANGELA SUMMEREDER: Anfangs gar nicht. Ich merkte, wie sehr diese Geschichte einen
wunden Punkt berührte. Es ist ein unterschwelliger Komplex spürbar, dass sie alle auf
diesen Schappeller reingefallen sind. Es war schwierig. Zuerst haben alle gesagt: „Nein, wir wissen nichts. Wir sind alt. Wir haben nichts zu sagen.“ Ich habe den Umstand genutzt, selber aus der Gegend zu stammen, habe alle eingeladen zu einer Info-Veranstaltung und versucht, ihnen im Gemeindesaal zu vermitteln, warum mir das Thema ein Anliegen ist, dass es mir wichtig ist, zu zeigen, welche Spuren Schappeller im Ort hinterlassen hat und wie der Mythos Schappeller im Ort weiterlebt. Und ich habe immer wieder betont, dass dies ohne ihre Mithilfe und ohne ihre Erinnerung für mich allein unmöglich wäre. Damit war das Eis gebrochen. Von da an waren sie sehr bereitwillig in der Mitarbeit und wären am Ende gerne nach Indien, zu unserem nächsten Drehort, mitgekommen.
Ihr formaler Zugang in AUS DEM NICHTS ist mehr als vielschichtig – Dokumentarisches, Experimentelles vermischt sich mit szenischen Elementen, abstrakte mit konkreten Momenten, Farbe mit Schwarzweiß. Wie entstand diese filmische Sprache?
ANGELA SUMMEREDER: Mir ging es hauptsächlich auch darum, eine filmische Sprache für Ergebnisse meiner Nachforschungen und für die Atmosphären und für die Gedankenwelt, in der Schappeller sich bewegt hat, zu finden. Und mir war wichtig, den damaligen kollektiven Zustand filmisch deutlich zu machen. Ich stand also vor der Aufgabe, nach einer dokumentarischen Einführung, dafür eine Darstellungsform zu entwickeln. Mein Konzept stieß zunächst auf große Skepsis, besonders die Idee des Reenactmemts wurde rasch mit Fernseh-Doku-Drama assoziiert. Es war aber gar nicht mein Anspruch, Situationen nachzustellen, sondern vielmehr, eine imaginative Darstellung von Atmosphären und Gedankenwelten zu finden. Einer meiner weiteren Ansprüche war, Sprache in den Film hineinzunehmen. Alles, was im Film geredet wird, kommt aus existierenden Dokumenten – Briefen, Zeitungsartikeln, u.ä. Es war mir wichtig, an Originalschauplätzen zu drehen und ich wollte die alten Leute, die diesen kollektiven Mythos transportieren, nicht mit dem Mikrofon vor der Kamera abfragen, sondern mit Methoden des Erinnerungstheaters operieren.
Wenn man wiederum eine Verbindung zu Zechmeister herstellt, dann scheint diese Verbindung von filmischen und szenischen Elementen Ihre Handschrift auszumachen. Kann man darin das Wesen Ihres Ausdrucks festmachen?
ANGELA SUMMEREDER: Dokumentarische Ansätze halte ich grundsätzlich für sehr spannend. Das ist für mich der erste Schritt. Ich stoße aber bald an seine Grenzen. Und dann ergibt sich alles weitere, ohne dass ich mir im Vorfeld überlege, wie sich eine Mischform finden lässt. Wenn man nach einer Darstellungsform für Gedankenwelten sucht, dann führt einen das in ein imaginativeres Darstellungsverfahren. Wenn ich an Zechmeister zurückdenke, da wäre auch die Kultur des sich Gegenseitig-Kontrollierens mit einem rein dokumentarischen Verfahren nicht rübergekommen. Hätte ich es über einen Spielfilm erzählt, dann hätte man sagen können „das hat sich jemand ausgedacht“. Dann wäre die Erzählung um den authentischen Zugang gestorben.
Der österreichische Film ist reich an Erzählformen entlang der Grenzlinie zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem. Sie haben in dieser Grenzzone wiederum einen ganz eigenen Ansatz gefunden.
ANGELA SUMMEREDER: Das ist richtig. Aber es irritiert immer wieder die Gremien in den Förderinstitutionen, denn ich kann nie genau vorhersagen, was bei meinem Verfahren herauskommt. Es gibt kein komplett ausgearbeitetes Drehbuch, sondern eine Versuchsanordnung. Und es macht auch die Verwertung nicht leichter, weil ich immer wieder vor die Frage gestellt werde – ist es nun ein Spiel- oder ein Dokumentarfilm. Ich hab mich nun aus dem Dilemma gerettet, indem ich es im Zweifelsfall mit Jean-Marie Straub halte, der sagte: „Jeder Film ist ein Dokumentarfilm. Ein Spielfilm ist nichts anderes als ein Dokumentarfilm über Schauspieler bei der Arbeit.“
Hier fällt ein Stichwort. Sie haben eine Dissertation über Danièle Huillet und Jean-Marie Straub geschrieben. Wie sehr wirkt deren Schaffen in Ihre Arbeit?
ANGELA SUMMEREDER: Sie sind für mich natürlich große Vorbilder, weil sie sich an ungemein große Fragen und Themen heranwagen und sehr unprätentiös forschend einen ganz eigenen Zugang entwickeln. Ich denke an Hölderlin. Ich würde es nie wagen, einen so schwierigen Text in einen Film zu übersetzen. Ich wüsste nicht, wie man dem Text gerecht werden kann. Sie haben eine Sprache gefunden, um Dinge filmisch darzustellen, die mir eigentlich unmachbar/ unfilmbar erscheinen. Sie haben den Mut, beim Text zu bleiben und aus dem Text herauszuholen, was drinnen steckt, ohne dass sie eigene Ideen darüber legen.
Haben Straub/Huillet Ihnen auch im Umgang mit Figuren etwas mitgegeben?
ANGELA SUMMEREDER: Die Freiheit des Kombinierens: Wie sie zum Beispiel Figuren aus der Jetztzeit mit historischen Kostümen und Texten konfrontieren und die Jetztzeit präsent bleibt. Sie erhalten das Brechtische aufrecht, sodass die Konstruktion/ das Gemachte immer sichtbar bleibt und dennoch ist eine starke imaginative Wirkung da.
Sehr interessant ist Ihr Umgang mit dem Raum: ich denke an die alten Leute, die sich erinnern, die über die Äcker gehen, die das Schloss wie einen geheimnisumwitterten Raum betreten, wo sie scheinbar erstmals einen Mythos, ein Tabu berühren können und in weiterer Folge an die schwarz/weißen Nachstellungen, wo der Eindruck entsteht, dass man als Zuschauer einen Erinnerungsraum, einen abstrakten, mentalen Raum betritt. Sehen Sie das ähnlich?
ANGELA SUMMEREDER: Es schien mir naheliegend, für einen imaginativen Raum mit Schwarz/Weiß und allen seinen Konnotationen zu operieren. Es ging mir auch um einen Wechsel. Der Freskenraum im Schloss ist einmal der Ort, wo die alten Leute in ihren Erinnerungen stöbern, gleichzeitig auch heraufbeschwören, was passiert. Es wollte Wirkung erzeugen und gleichzeitig sollte die Konstruktion dahinter sichtbar bleiben.
Das Nichts spielt in vielfacher Hinsicht eine Rolle: ein vermeintliches Nichts – die Kraft aus der unsichtbaren Materie, die Gegenstand Schappellers Forschungen war. Auf einer weiteren Ebene geht es auch um die Nichtigkeit des menschlichen Seins/ Schicksals. Schlosser sagt über Schappeller: „Letztlich ist ihm nichts gelungen. Sein Leben war für nichts“.
ANGELA SUMMEREDER: Es geht mir auch um das Nichts der eigenen Arbeitsbemühungen. „Aus dem Nichts“ kann auch die Formulierung eines Arbeitsansatzes sein. Ich erlebte einmal bei einer Theaterhospitanz bei Dagmar Schlingmann, wie sie ihre Arbeit aus einem Nichts beginnt. Lesen und wieder lesen, warten, dass etwas kommt und langsam etwas entstehen lassen. Man kommt nicht mit einer Idee, die schon weit gediehen ist. Man beginnt wirklich beim Nichts. Das halte ich auch für interessant und mutig. Die Geschichte bewegt sich dann wo hin. Es geht mir also auch um ein kreatives Nichts. Wenn ich will, dass etwas wird, muss ich dem Werdenden Raum geben. Also sagen: Da ist noch nichts, da wird erst etwas. Zur Nichtigkeit der Existenz – da denke ich an die Bilder des Ackers, an das Aufgraben, das Wieder-Verschwinden im Acker. Dort, wo vermeintlich nichts ist, kommt, wenn man genauer gräbt und sich genauer mit etwas befasst, sehr wohl etwas zutage. Das führt zur physikalischen Hypothese, dass im Raum, wo vermeintlich nichts ist, eigentlich essentielles Potenzial liegt.
Der Film erzählt auch etwas über die Zufälligkeit, mit der Erkenntnisse gefunden, Entdeckungen/Erfindungen an die Öffentlichkeit gelangen. Wie oft wird etwas gedacht/erfunden, bis es seinen Durchbruch schafft?
ANGELA SUMMEREDER: Schappeller war ja leider ungebildet. Er konnte nicht studieren und daher hat ihm auch methodisches Rüstzeug und Wissen gefehlt. Die Denkrichtung hat sich aber dann weiter entwickelt, um an anderer Stelle zu Ergebnissen zu kommen. Daher habe ich die Weiterentwicklung der Idee verfolgt.
Es gibt im Film den Moment, wo Schappeller verschwindet und sich der Fokus in die Gegenwart richtet. Wie kamen sie dem Status Quo der Erkenntnisse in Sachen Raumkraft auf die Spur?
ANGELA SUMMEREDER: Der Film verabschiedet sich an einer Stelle vom Individuum Schappeller und geht der Idee weiter nach. Er stellt Personen vor, die, wie im Stapellauf, die Idee weiter entwickeln. Mit ihnen hat sich eine andere Arbeitsweise ergeben, da sie im Heute leben. Ihnen kann ich Fragen stellen, dennoch war es mir wichtig, sie nicht zu trocken in ihrem Wissenschaftler-Dasein zu zeigen, sondern ihnen eine Geschichte zu geben. Claus Turtur, den deutschen Experimentalphysiker wollte ich in einer Umgebung zeigen, die etwas über das gedankliche Milieu erzählt, in dem er sich bewegt und über die Kultur, in der er arbeitet. Ich habe ihn im Kohletagbau- Gebiet Welzow in Brandenburg gefilmt. Das ist richtige Industriewüste.
Auch eine Gegend, wo es nichts gibt…
ANGELA SUMMEREDER: Eine Gegend, wo Ödnis/Nichts ist und die aufzeigt, wie die aktuellen Methoden der fossilen Energienutzung auf die Spitze bzw. ans Ende getrieben werden. Dazu kam die Idee, dass Kohle für Deutschlands Aufstieg nach dem Krieg eine sehr wesentliche Rolle gespielt hat und gleichzeitig auch zu dieser totalen Zerstörung und Ressourcenerschöpfung geführt hat. An Paramahamsa Tewari, dem Forscher in Indien, fand ich besonders interessant, dass seine Geschichte eine Saulus- Paulus-Geschichte ist: Er war sehr lange Zeit Direktor eines Atomkraftwerks und geriet irgendwann an einen Punkt, wo er die Notwendigkeit erkannt hat, dass die Energiegewinnung in eine andere Richtung gehen müsse. Er begann sich dafür zu engagieren, was im wirklich wichtig war und worin er ein Potenzial für die Zukunft sah. Toby Grotz, der amerikanische Forscher, geht diesem Thema schon sehr lange nach und hat die ganze Welt dahingehend bereist. Sie kennen beide die Energie-Branche sehr gut, sehen ihre Möglichkeiten und Grenzen und sind zu dem Schluss gekommen, dass es da auch noch anderes geben muss, weil es auf den bisherigen Wegen so nicht mehr weiter gehen kann.
Sind die aktuellen Forschungen ernster zu nehmen als Schappellers Erkenntnisse?
ANGELA SUMMEREDER: Das ist jetzt ein heikles Terrain. Ich will mit meinem Film keinerlei Beweisführung antreten. Mir ging es darum, ihre Denkansätze und Bemühungen nachvollziehbar zu machen. Es soll auch eines der Themen des Films sein, anzudeuten, wie wissenschaftliche Erkenntnisse möglicherweise wirtschaftlichen Interessen hintangestellt werden. Es wäre vermessen, wenn ich dazu eine eindeutige Haltung postulieren würde. Es geht mir ja auch um diese Gratwanderung.
Wie sieht in dieser Mischform zwischen Dokumentarischem und Fiktionalem Ihre Arbeit mit den Schauspielern aus?
ANGELA SUMMEREDER: Es ging mir in dieser Arbeit nicht unbedingt darum, einzelne Seelenzustände von Menschen zu verdeutlichen. Ich fand es spannend, die Schauspieler mit diesem dokumentarischen Material, mit diesen Sätzen, diesen Atmosphären, dieser Denkweise, diesem Raum und der Aufgabe zu konfrontieren, hier etwas darzustellen und zu entwickeln, was diese Leute bewegt hat. Wir haben die Schwarzweiß-Szenen gleich am Anfang gedreht. Das war sehr herausfordernd, weil gleich am dritten Drehtag etwa vierzig Leute am Set waren. Mit den alten Leuten und den Schauspielern und einem Team, das sich erst kennenlernen musste, drehten gleich am Anfang die schwierigsten und aufwändigsten Sequenzen im Schloss.
Warum ist Schappellers Projekt verpufft?
ANGELA SUMMEREDER: Schappeller hat sich irgendwann zurückgezogen und nur noch mit den Engländern kooperiert, die im Zweiten Weltkrieg Kriegsfeinde waren und ist letztendlich in Ungnade gefallen. Es herrschte innerhalb des Schappeller-Klans Uneinigkeit darüber, ob man mit den Nazis kooperieren sollte. Ein Teil war dafür, er war dagegen. Über dieser Frage hat sich der KLan und damit auch das Projekt zerrüttet. Mit der Figur des Ingenieurs Gföllner ist das im Film angedeutet. Schappeller zog sich auf den Standpunkt zurück, dass es viel zu gefährlich wäre, unter politisch heiklen Machtsystemen mit so einer Erfindung an die Öffentlichkeit zu gehen. Peter Schlosser sagt im Film, darin sahen viele einen Hinweis darauf, dass gar nichts da war. Vielleicht aber hatte er etwas gefunden und ist damit nicht herausgerückt.
Oktober 2015